Die Logistikbranche befindet sich im Umbruch. Der internationale Handel, die Geopolitik, die Energiewende und technologische Innovationen üben weltweit Druck auf die Lieferketten aus. Gleichzeitig wächst der Bedarf an einer engeren Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, um die Niederlande als führende Logistikdrehscheibe zukunftsfähig zu halten. Prof. Albert Veenstra, Professor für internationalen Handel und Logistik an der Rotterdam School of Management, gibt einen Einblick in seine Erkenntnisse.
"Auf jeden Fall. Ich bin Professor für internationalen Handel und Logistik an der Rotterdam School of Management und Senior Programme Manager bei UPT BV, Erasmus Universität Rotterdam. Mein Schwerpunkt liegt auf der Logistik, die internationale Handelsströme erleichtert. Ich erforsche unter anderem die Auswirkungen von Zöllen, die Energiewende in Schifffahrt und Logistik und die Veränderungen der Machtverhältnisse in der Containerkette."
"Der Zollkrieg, insbesondere zwischen den USA und China, führt zu großer Unsicherheit in den globalen Handelsströmen. Auch die Energiewende verändert die Art und Weise, wie Waren transportiert werden, und es entstehen neue Warenströme, wie Ammoniak und Methanol. Außerdem hat sich die Rolle der großen Schifffahrtsunternehmen verändert; sie integrieren zunehmend Kettenaktivitäten und beherrschen Terminals und Spedition. Mit ihrer Vormachtstellung verursachen sie Störungen in den Häfen, wie z. B. die Überlastung in Rotterdam. Das ist ernster als wir dachten, wie man jetzt an dem im Vergleich zu Antwerpen zurückgebliebenen Durchsatz sehen kann."
"In Rotterdam stehen wir vor komplexen Übergängen. Der ECT-Terminal verliert Kunden an andere Terminals wie APM und RWG und hat daher seine Betriebskapazität reduziert. Gleichzeitig sind die Erweiterungen an diesen Terminals noch nicht erfolgt, während der Containerumschlag etwas zunimmt. Dies führt zu einer Kapazitätskrise mit großem Druck auf Platz und Personal.
"Sie beruhen auf einem altmodischen Handelsdenken, das die Existenz von Lieferketten außer Acht lässt. Zölle führen dann zu allen möglichen unerwarteten Effekten wie schwankenden Handelsströmen und Lagerbeständen. Das macht es für die Logistikbranche und die Wissenschaft äußerst schwierig, verlässliche Prognosen zu erstellen."
"Unsicherheit führt immer zu mehr Vorräten: Die Unternehmen füllen ihre Lager vorsichtshalber auf. Das haben wir bei COVID-19 gesehen und sehen es jetzt wieder. Infolgedessen sind die Lager trotz der Bemühungen um eine perfekte Just-in-Time-Logistik weiterhin überfüllt."
"Wir beobachten Entwicklungen wie die Beschäftigung in den Häfen und strategische Trends wie den chinesischen Einfluss auf den maritimen Sektor und die Cybersicherheit. Unsere Arbeit bewegt sich oft zwischen Beratung und wissenschaftlicher Forschung. Ein aktuelles Beispiel sind die Auswirkungen aller möglichen neuen EU-Vorschriften auf internationale Lieferketten und Logistik."
"Der Sektor besteht aus kleinen, oft international besetzten Unternehmen. Probleme wie Brücken- und Schleusenkollisionen werden durch Sprachbarrieren, Ermüdung, komplexe Fahrregeln und technologische Unkenntnis verursacht. Wir helfen dabei, Lösungen in Bezug auf Ausbildung, handwerkliches Können und Technologieintegration zu finden."
"Die Niederlande hatten schon immer eine starke Position dank effizienter Zollverfahren, was bedeutete, dass internationale Warenströme problemlos durch niederländische Lager gingen. Die neuen Zollvorschriften seit 2016 machen dies komplizierter und beeinträchtigen die Attraktivität der Niederlande.
"Auf jeden Fall. Wir müssen uns überlegen, welche Logistik wir fördern wollen. Hochwertige Logistik, wie die von Blumen, gekühlten Produkten und Gefahrgut, sollte gefördert werden. Geringwertige Logistik, wie z. B. der Massen-E-Commerce, ist wenig ertragreich und erfordert arbeitsintensive Prozesse ohne hohen Mehrwert.
"Sehr weitreichend. Es wird Druck geben, neue Kraftstoffe wie Wasserstoff und Ammoniak zu transportieren. Gleichzeitig führt die Elektrifizierung des Straßenverkehrs zu anderen logistischen Anforderungen, wie z. B. Laderampen in Lagerhäusern. Die Elektrifizierung schreitet schneller voran als gedacht, was jetzt zu einer Überlastung der Netze führt; ein großes Problem, weil neue Lagerhäuser oft keine Stromkapazität mehr haben."
"Nicht wirklich. Die Elektrifizierung hat sich aufgrund der Entwicklungen bei den Fahrzeugherstellern und der politischen Anreize unerwartet beschleunigt. Die Netzbetreiber arbeiten jetzt intensiv an Lösungen, aber die Umrüstung dauert Jahre."
"Auf jeden Fall. Häufig sind die Eigentümer der Lagerhäuser Immobilienentwickler, die nichts mit dem Logistikbetrieb zu tun haben. Es gibt Initiativen wie firmeneigene Solarparks, aber eine strukturelle Lösung erfordert eine engere Zusammenarbeit zwischen Immobilienparteien, Logistikanbietern und Energieerzeugern".
"Politische Maßnahmen wie die EU-Vorschriften zur Entwaldung wirken sich auf die Lieferketten aus, werden aber entwickelt, ohne dass ein wirkliches Verständnis der Kettenstrukturen vorhanden ist. So wird Palmöl beispielsweise gemischt gelagert und verwaltungstechnisch getrennt, doch die Vorschriften verlangen eine physische Trennung. Solche Maßnahmen führen zu erheblichen logistischen Engpässen. Wir versuchen daher, einen Einblick in die tatsächliche Funktionsweise der Ketten zu geben und setzen uns für einen besseren Dialog mit den politischen Entscheidungsträgern ein."
"Logistikunternehmen müssen viel deutlicher erklären, dass sie Glieder in Ketten sind. Politische Maßnahmen wirken sich oft nicht direkt auf ihre eigenen Abläufe aus, haben aber durch die Ketteneffekte enorme Auswirkungen. Ohne dieses Bewusstsein entstehen ineffiziente Regeln, die die Lieferketten stören."